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Fern.Ost

Foyerausstellung von Stephanie Brysch

Januar - Februar 2006





Ausstellungsdauer: 13.01. - 24.02.2006


 

Stephanie Brysch ist sozusagen zeichnend unterwegs, auf Reisen, hat immer ihr Skizzenbuch zur Hand. Sie hat kein Atelier, denn ihr Atelier befindet sich draußen: auf der Straße, inmitten der Menschen, auf Bergen oder in Parks. Es sind die momentanen Eindrücke, die spontanen Situationen, die sie auf ihren Erkundungen einfängt – und mit persönlichen, teils intimen Texten, Gedanken, manchmal nur Fetzen oder Assoziationen versieht. Das kann eine Reise durch Deutschland auf den Spuren der Vergangenheit sein – wie es für ihre Examensarbeit der Fall war, oder auch – wie hier eine Reise durch das ganz Fremde, durch das fernöstliche Korea
.
Mit wenigen, aber gezielt ausgewählten Arbeiten verschafft Stephanie Brysch dem Betrachter nicht nur einen Eindruck des fernen und uns Europäern zumeist fremden Landes Korea, sondern macht es vielmehr noch auf eigene Weise erleb- und fühlbar: Eine Rauminstallation, speziell für die Fenstersituation des cuba-cultur-Foyers geschaffen, einige Zeichnungen und ein Leporello mit Aquarellen und Texten, auf einer Reise quer durch eben Korea im vergangenen Jahr entstanden, sowie ein jüngst vollendetes, wie ein Tagebuch erscheinendes ‚Korea-Buch’, welches zwischen Dokumentarischem und Persönlich-Emotionalem wechselt, hin und herspringt – ebenso wie Gezeichnetes und Geschriebenes wechseln, ja sogar mehr noch: als Kontraste aufeinander treffen, um eben doch ineinanderzufließen.

Alle Arbeiten erzählen in diesen Brüchen ihre eigenen Geschichten – von der Fremde und doch von dem Eigenen, dem Persönlichen; von dem Öffentlichen – denn wer in Korea ist, kann den Berg von Sokcho (s. ‚Korea-Buch’) ebenfalls besteigen oder durch die Einkaufsstraßen von Busan wandern – und von dem Innersten.
Die zart und fließend anmutenden Zeichnungen von Stephanie Brysch, häufig Landschaften oder auch in Landschaften eingebettete Situationen menschlicher Begegnungen, stehen in einem Verhältnis zu den eingeschriebenen Texten, das nicht selten irritiert.
Als grafische Elemente ähnlich, der Strich der Zeichnung und der handschriftliche Text, fließen sie optisch ineinander und dennoch sprechen sie Unterschiedliches an. – So würde die Zeichnung allein vielleicht eine Art Filmkulisse vor dem inneren Auge und eine damit verbundene Stimmung entstehen lassen. So würden die verschriftlichten Gedanken, Gedankenfetzen, Kommentare allein eine andere Stimmung hervorrufen.
Beides zusammen jedoch erzeugt nicht selten einen Bruch und zugleich eine neue Verbindung, wenn es zum Beispiel in einer idyllisch gemalten Landschaftsszenerie heißt: „Ein Apfel kostet fast so viel wie ein Trekking-Shirt. Auf jeden Fall mehr als ein paar Socken.“ Ein trocken-ehrlicher Kommentar, der den Betrachter fast ironisch herausreißt aus der Idylle des Aquarells.
Eine das grundlegende Verhältnis zwischen Bild und Text betreffende Frage wird auf diese Weise aufgeworfen: Kommentiert der Text das Bild oder illustriert die Zeichnung das geschriebene Wort? – Weder noch. Gleichberechtigt nämlich stehen sie nebeneinander, teils gegeneinander – und zugleich, im wahrsten Sinne, ineinander
.
„Ineinander“ stehen auch der Betrachter und die Fensterinstallation bzw. der Betrachter steht in ihr, in einem fragilen, zarten, papiernen Gebilde, das von der Decke herabhängt, für das der Besucher sich seiner Schuhe entledigen muss – wie es beim Betreten der ebenso dünnwandigen Häuser in asiatischen Ländern üblich ist. Und zugleich befindet er sich inmitten einer gewaltigen asiatischen Landschaft, weiträumig und offen, frei bis zum Horizont. Auch hier trifft man auf Offenes, Öffentliches und zugleich Privates, Abgeschirmtes.
Als Besucher der Ausstellung dringt man aktiv in Privat-Persönliches ein, um im einen Falle die Gleichzeitigkeit von öffentlicher – zumal im Schaufenster – und abgeschiedener fremder Welt in form eines Raumes im Raum zu spüren, um im anderen Fall in ein öffentlich gemachtes Tagebuch zu blicken, in dem Fragmente einer Liebesgeschichte den dokumentarischen Gestus immer wieder durchbrechen und ebenfalls Fern und Fremde innerhalb einer Liebesbeziehung bezeugen. – Ist es eine fiktive Erzählung oder ist es die Schilderung realer Erlebnisse? Auch hier besteht der Schwebezustand der Uneindeutigkeit.
Lust, Neugierde, Voyerismus? Lust, Neugierde, Fremdes zu erforschen, das zugleich an eigenes Inneres erinnert? Auf subtile Weise spielen Bryschs vermeintlich harmlose Zeichnungen bzw. Bilder und Texte ein kontinuierliches Wechselspiel auch mit dem Verlangen, Tabus zu brechen, heimlich oder öffentlich. Um sich Fremdem und Fernem zu nähern. – Oder dadurch dem Eigenen? – Und auch spielen sie mit einer Sphäre der Sorg- und Achtsamkeit, des Zarten und Empfindsamen, wie sie sich im Stil der Zeichnungen, in der Wahl des Aquarells, im Kleinformat und auch im empfindlichen Papiermaterial der Installation allenthalben widerspiegelt.

Hille Schwarze
Kuratorin






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