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Henri Unsenos

Paraplü

Austellungsdauer: 03.09. - 03.10.2004

„In diesem Raum möchte ich gerne meine Regenschirme unterbringen“, bemerkte Henri Unsenos vor gut einem Jahr. – Nun hängen sie hier als Paraplü 3. Nicht als Kugeln wie in Paraplü 1 und 2, sondern als ...? Ja, als was denn? Mehr noch als in den vergangenen Installationen haben die schlichten Regenschirme andere, ganz eigenständige Formen angenommen.

Auf der Einladungskarte ist zu sehen, wie Robert (aus dem Struwwelpeter) von einer Windböe, die sich in seinem Regenschirm verfängt, in die Weiten des Himmels davon getragen wird. Auch hier im Foyer steht der Besucher regelrecht unter einem Himmel voller bunter Regenschirme – oder  besser gesagt: ehemaliger Regenschirme. Denn mit wenigen Handgriffen wurden sie ihrer standardisierten Funktion enthoben und zu etwas Anderem gemacht. – Wie Wolken, die vom Wind  in eine Richtung getrieben werden? Wie ein Vogelschwarm, der gen Süden zieht? Oder ein kunterbunter Fischschwarm, auf der zielstrebigen Suche nach Nahrung? Ein Gefühl von großer und umfassender Räumlichkeit stellt sich bei jeder dieser Imaginationen  ein.

Eine bestimmte Dynamik scheint es zu sein, welche die Konstrukte in diesem ozeanischen Raum vorwärts treibt. Doch woher sie kommen? Oder wohin sie letztlich ziehen? Das weiß man nicht. Sie könnten ebenso gut aus den Tiefen des Kellers kommen, wie sie in denen des Bodens auf der anderen Seite im vorderen Foyer entschwinden könnten – oder auch einfach aus dem Fenster hinausziehen oder in die Kiste hinein? Vielleicht – bei aller Absurdität, mit der die schlicht verbogenen Regenschirme dieses große Thema begleiten – auch einer Vorstellung von energetischem Lebensfluss ähnlich?  Den großen Raum durchströmend und umfassend, sich nicht durch räumliche Begrenzungen wie Fenster oder Boden einengen lassend.

Es begleitet dieses dynamische Geschehen eine Geräuschkulisse, die auf ähnliche Weise linear und dennoch zugleich diffus und vielfältig, nicht identifizierbar ist. Von ultrakurzer bis ultralanger Welle ist ein kleiner alltäglicher Teil unserer geräuschvollen Erfahrungswelt als Klangmaterial entnommen und transformiert worden: vom Radio bis zum Handy-Signal. Es sammeln sich Geräusche, Töne, ein monotones Rauschen, durchsetzt von akustischen Brüchen, deren Komplexitätsgrad im Ganzen bis hin ins Undurchschaubare bzw. Unhörbare gesteigert wird. Ein Raum akustischer Wellen, elektromagnetischer  Schallwellen eröffnet sich, wenn man in ihn eintaucht. Der Ursprung  dieser Geräusche – oberflächlich betrachtet, ist es der weiße Kasten, der zugleich als Sitzgelegenheit dazu auffordert, Platz zu nehmen und sich der Wirkung des Ganzen hinzugeben – ist zugleich scheinbarer Endpunkt des konstruierten Schwarms. „Scheinbar“ deswegen, weil sich hier eigentlich ebenfalls ein unendlicher Raum erst findet: Ein unendlich großer Raum der elektromagnetischen (Geräusch-)Wellen, mit dessen Erforschung erst vor gut 100 Jahren begonnen wurde und in dem wir heute Sternengeflüster oder gar das Schallecho des Urknalls orten wollen. – Das Handy klingelt. Auch die Einwahltöne ins Internet sind den meisten inzwischen als alltägliche Geräusche vertraut. Egal, wie oder warum, leben wir in der Gewissheit, dass die Übertragung durch elektromagnetische Wellen funktioniert. Vielleicht ähnlich wie der dynamische Lebensfluss der Fische, Wolken, Vögel – und Menschen?

Doch zwischen unserem Erfahrungsbereich, dass das Handy-Klingeln ebenso funktioniert wie der Lebensfluss, also lediglich Funktionstüchtigkeit spiegelt, und dem als wirklich postulierten Wissen um das Sternengeflüster oder auch den Energiestrom liegt ein unendlicher Raum. – Könnte es sein, dass dieser Raum voller wissenschaftlicher Imaginationen und Konstruktionen ist? Sozusagen: ein Himmel voller Regenschirme? Könnte es sein, dass der scheinbar von Schallwellen ausgefüllte kosmische Raum möglicherweise ganz anders aussieht und sich ganz anders anhört? – Wie ist das Verhältnis von Wissenschaft und Wahrheit? Von Konstruktion und Wirklichkeit? Ist es nicht möglicherweise vielmehr eine Konstruktion oder gar Illusion von Wirklichkeit?

Auf schelmische Art weist die Installation auf eine mitschwingende Absurdität des Ganzen hin – und auch darauf, dass wir dieses allseits postulierte Wissen in Frage stellen können, wenn wir uns wie die an der kosmischen Himmelsdecke schwebenden, kunterbunten Fische oder auch wie der kleine Robert auf der Karte in die Weiten eines äthergleichen Raumes davontragen lassen.!

Hille Schwarze






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